Empfehlung der Bundesregierung “Infektionsschutzgerechtes Lüften”
Ergänzend zu unserer Expertise bezüglich des Einflusses von lüftungstechnischen Anlagen auf die Verbreitung von Corona-Viren vom 15.07.2020 zitieren wir nachfolgend die Empfehlung der Bundesregierung zum infektionsschutzgerechten Lüften.
Resultierend aus unserer Expertise und der hier vorliegenden Empfehlung sind Maßnahmen zur Belüftung immer einer Einzelfallprüfung zu unterziehen. Bezüglich Ihrer Anlagen oder Planungen beraten wir Sie gerne individuell.
Empfehlung der Bundesregierung „Infektionsschutzgerechtes Lüften“
I. Sachstand
Die Empfehlung der Bundesregierung für infektionsschutzgerechtes Lüften schafft Handlungssicherheit bei der Gestaltung des Arbeits- und Bevölkerungsschutzes. Entsprechend § 4 Nummer 1 Arbeitsschutzgesetz ist es Ziel, durch fachgerechtes Lüften von Gebäudeinnenräumen Gesundheitsgefährdungen durch SARS-CoV-2-Infektionen möglichst zu vermeiden beziehungsweise gering zu halten.
Das SARS-CoV-2-Virus wird nach aktuellen Erkenntnissen vor allem respiratorisch durch Tröpfchen und Aerosole übertragen. Daher kommt neben dem Abstandsgebot und den allgemeinen Kontaktbeschränkungen auch der Innenraumlufthygiene eine große Bedeutung beim Infektionsschutz zu. Die zentralen Erkenntnisse sind:
Intensives, fachgerechtes Lüften von Gebäudeinnenräumen bewirkt eine wirksame Abfuhr bzw. Verringerung der Konzentration ausgeschiedener Viren und senkt damit das Infektionsrisiko in Räumen, die von mehreren Personen genutzt werden.
Dies erfordert:
a) konsequentes, intensives und regelmäßiges freies Lüften über Fenster und Türen.
b) Anpassungen bei der Belüftung von Gebäudeinnenräumen durch sog. Raumlufttechnische Anlagen (RLT-Anlagen)(1). Nach Ermittlungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sind bundesweit etwa 750.000 „Nichtwohngebäude“ mit RLT-Anlagen ausgestattet, von denen etwa 43 % nur im Umluft- bzw. Mischluftbetrieb betrieben werden können.
Bei RLT-Anlagen sind neben Optimierungen der Betriebsparameter durch die Erhöhung der Außenluftzufuhr weitere Maßnahmen notwendig. Dies betrifft vor allem die Überprüfung der ordnungsgemäßen Funktionsfähigkeit, zeitnahe Umsetzung notwendiger Reparaturen sowie den regelmäßigen Austausch von Filtern und sonstige vom Anlagenhersteller vorgesehene regelmäßige Instandhaltungsarbeiten. Weiterhin ist grundsätzlich auch eine technische Ertüchtigung von RLT-Anlagen, die nur im Umluft- bzw. Mischluftbetrieb betrieben werden können, in Betracht zu ziehen, um die luftgetragenen -Viren, insbesondere SARS-CoV-2, effektiv und effizient zu filtern oder zu inaktivieren, z.B. durch Einbau hochabscheidender bzw. zusätzlicher Filter und/ oder zusätzlicher Desinfektionsstufen (z.B. UVC-Bestrahlung). Wenn ein Umluftanteil bauartbedingt nicht vermeidbar ist, ist eine solche Ertüchtigung von besonderer Bedeutung, da es ansonsten durch die Luftrückführung zu einer Verteilung von Viren in den angeschlossenen Räumen käme. Derartige Ertüchtigungen erfordern jedoch eine detaillierte Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten und der technischen Möglichkeiten, die abhängig von der Art und Weise der Raumnutzung und dem Verhalten der Nutzenden unterschiedlich ausfallen können. Außerdem sind einige der aktuell diskutierten Optionen zur Nachrüstung noch im Versuchsstadium oder nicht kurzfristig in ausreichender Zahl am Markt verfügbar. Ebenso ist die Wirksamkeit und toxikologische Unbedenklichkeit zu belegen. Auch lässt sich nicht jede Anlage ohne weiteres kurzfristig sowie befristet auf die Dauer der Pandemie nachrüsten.
2) Durch einzelne lüftungstechnische Maßnahmen können Infektionsgefahren zwar verringert, aber nicht vollständig beseitigt werden. Infektionsschutzgerechte Lüftung erfordert daher meist ein abgestimmtes Paket von mehreren Einzelmaßnahmen. Hierzu zählen u.a. die Reduktion der Belegung von Räumen auf das notwendige Minimum, die Beachtung der Abstandsregel, das Anbringen geeigneter Abtrennungen sowie das Tragen von Mund-Nase Bedeckungen. Die infektionsschutzgerechte Lüftung ist direkt gekoppelt mit der Expositionszeit. Je kleiner die Frischluftmenge, desto höher die luftgetragene Virenlast und desto geringer sollte die Expositionszeit/ Aufenthaltsdauer in geschlossenen Räumen sein. Kommunikativ kann dies durch die Erweiterung der bekannten AHA -Formel zur AHA+L-Formel verdeutlicht werden. Denn:
Wirksamer Infektionsschutz besteht aus Abstand, Hygiene, Alltagsmasken + Lüften.
II. Maßnahmenempfehlungen der Bundesregierung zum infektionsschutzgerechten Lüften
Die Bundesregierung beschließt die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Gesundheit, dem Robert-Koch-Institut, dem Umweltbundesamt (UBA) und der BAuA erarbeiteten nachfolgenden Maßnahmenempfehlungen. Die Lüftung von Gebäudeinnenräumen, in denen sich mehrere Personen nicht nur kurzfristig aufhalten, ist insbesondere durch Erhöhung von Luftwechsel und Außenluftzufuhr bzw. entsprechend gefilterter Luft so zu verbessern, dass Infektionsgefahren weitgehend minimiert werden. Es ist flächendeckend sicherzustellen, dass geeignete Maßnahmen zum Infektionsschutz durch fachgerechtes Lüften umgesetzt werden. Diese sind in den nachstehendem fünf Punkten zusammengefasst:
- Oberstes Gebot: Intensives und fachgerechtes Lüften. Die entsprechenden Vorgaben der Technischen Regel für Arbeitsstätten A3.6. „Lüftung“ müssen innerhalb von Gebäuden konsequent in allen Arbeitsräumen, die von mehreren Personen nicht nur kurzzeitig gleichzeitig benutzt werden, umgesetzt werden(2).
Auch in anderen Bereichen mit vergleichbarer Nutzung (öffentliche Einrichtungen, Geschäfte, Restaurants) sollten die gleichen Maßstäbe Anwendung finden. - Arbeitgeber sind gehalten, umgehend eine Prüfung(3) aller RLT-Anlagen in Gebäuden auf ordnungsgemäße Funktionstüchtigkeit vorzunehmen sowie erforderliche Reparatur- und Wartungsarbeiten durchzuführen bzw. darauf hinzuwirken, dass der jeweilige Betreiber diese Aufgaben durchführt.
- Die Betriebsparameter von RLT-Anlagen in Gebäuden sind unverzüglich zu optimieren:
• Dauerbetrieb oder Verlängerung der Betriebszeiten der RLT-Anlagen vor und nach der eigentlichen Nutzungszeit
• Weniger Umluft, mehr Frischluft: Vermeidung bzw. Reduzierung von Umluftbetrieb und Einstellung der RLT-Anlage auf möglichst hohe Luftwechselrate durch Außenluft(4).
4. Eine Ertüchtigung von RLT-Anlagen, die nicht zu 100 % mit Frischluft betrieben werden können, durch zusätzliche effektive und effiziente Möglichkeiten der Reduktion luftgetragener Viren, insbesondere SARS-CoV-2, ist zu prüfen und wo erforderlich umzusetzen(5). Bei RLT-Anlagen mit Umluftbetrieb sollte zum Beispiel ein Filterupgrade durchgeführt werden, z.B. durch Austausch von Staubfiltern der Klasse F7 mit Filtern der Klassen ISO ePM1 70% (vormals F8) oder besser ISO ePM1 80% (vormals F9) sofern die Anlage die entsprechenden technischen Voraussetzungen dazu bietet. Sofern technisch möglich, ist die Aufrüstung mit Hochleistungsschwebstofffiltern (HEPA – H 13 oder H 14) generell zu bevorzugen.
Die zuständigen Arbeitsschutz- und Infektionsschutzbehörden sowie Ordnungs- und Bauordnungsbehörden der Länder, sowie die Aufsichtsdienste der Unfallversicherungsträger werden gebeten, auf Grundlage der bestehenden Rechtslage Beratung, Aufsicht und Vollzug zu verstärken(6). Verstöße gegen die bestehenden rechtlichen Bestimmungen (z. B. Instandhaltungsmaßnahmen nach Arbeitsstättenverordnung – ArbStättV) im Bereich der Lüftung von Gebäudeinnenräumen sollen konsequent geahndet werden. Sie sind bußgeldbewehrt und können die Untersagung der Nutzung der betroffenen Räume nach sich ziehen.
5. Wenn eine hohe Belegungsdichte in Gebäudeinnenräumen nicht vermieden werden kann, empfiehlt die Bundesregierung, insbesondere bei mit Fenstern gelüfteten Räumen, die Nutzung von CO2-Messgeräten, damit rechtzeitig notwendige Lüftungsmaßnahmen erkannt und eingeleitet werden können. Alternativ können entsprechend den Umgebungsbedingungen Luftfilteranlagen eingesetzt werden.
Weiterhin besteht Forschungs- und Entwicklungsbedarf zur Ausscheidung, Ausbreitung und Infektiosität von Viren sowie im Bereich innovativer Verfahren zum Infektionsschutz, die insbe-
sondere auch dort einsetzbar sind, wo RLT-Anlagen aus heutiger Sicht nur schwer zu installieren oder zu ertüchtigen sind. Die Bundesressorts sind gehalten, Ergebnisse ent-
sprechender Vorhaben aus ihrem Zuständigkeitsbereich an die BAuA zu übermitteln. Diese wird die entsprechenden Informationen für die verschiedenen Anwender aufbereiten und im Rahmen ihres Informationsangebots zum infektionsschutzgerechten Lüften zur Verfügung stellen.
Fußnoten:
(1) Zur Vereinfachung sind Prozesslufttechnische Anlagen (PLT), die primär aus prozesstechnischen Gründen, d.h. zur Abfuhr von Schadstoffen oder Prozesswärme bzw. zur Kühlung (z.B. in der Lebensmittelverarbeitung) nicht extra aufgeführt. Erkenntnisse und abgeleitete Empfehlungen gelten für diese gleichermaßen.
(2) Grundformel: Ein Besprechungsraum soll grundsätzlich alle 20 Minuten für 3 Minuten im Winter, 5 Minuten im Frühling/Herbst und 10 Minuten im Sommer stoßgelüftet werden. Weiterhin enthält ASR 3.6 „Lüftung“ in Kapitel 5 eine Tabelle zur Ermittlung der benötigten Fenstergröße bzw. maximaler Personenzahl bei vorgegebenen Lüftungsquerschnitten. Durch die derzeitige Reduzierung der Belegungszahl infolge der Abstandsregelung können die für den Regelbetrieb ermittelten Lüftungsquerschnitte als ausreichend angesehen werden. Das UBA empfiehlt zusätzlich, nach einem Niesen, Husten o.ä. zusätzlich zu lüften.
Ein zusätzliche CO2-Monitoring durch entsprechende Messgeräte wird insbesondere in Räumen mit hoher Personenbelegung (z.B. Schulen und Tagungsräume) empfohlen.
(3) Es kommen vor allem Hygieneinspektionen nach VDI 6022, aber auch energetische Inspektionen nach DIN SPEC 15240 in Betracht.
(4) Die Anforderungen der ASR A3.6. an Luftgüte (Temperatur und Luftfeuchtigkeit) sowie zur Vermeidung von Zuglufterscheinungen sind ebenfalls zu beachten, ebenso etwaige Leistungsbeschränkungen der Anlage, etwa für den Dauerbetrieb bei erhöhter Leistung.
(5) Die Notwendigkeit ergibt sich insbesondere bei nicht nur kurzeitig mehrfach belegten Räumen, in denen es ansonsten durch den Umluftbetrieb zu einer Anreicherung virenbelasteter Aerosole kommen kann. Ist eine Ertüchtigung nicht möglich, sind auf jeden Fall zusätzliche Maßnahmen vorzusehen, z.B. freie Lüftung, Reduzierung der Raumbelegung, Anbringung von Abtrennungen, Tragen von Mund- Nase-Bedeckungen.
(6) Grundlegende Vorschriften sind §3a Abs.1 ArbStättV (Verstoß ist bußgeldbewehrt) i.V.m Anhang ArbStättV Nr. 3.6 „Lüftung“. Nach Nr. 6.6 der konkretisierenden ASR 3.6. „Lüftung“ sind RLT-Anlagen nach Herstellerangaben regelmäßig zu prüfen und zu warten. Anforderungen an Wartung und Instandhaltung mobiler, im Zusammenhang mit Lüftung verwendeter Geräte ergeben sich zudem aus §10 Abs.1 Betriebssicherheitsverordnung, nachdem hierbei die entsprechenden Vorgaben der Hersteller, die sich i.d.R. aus der Betriebsanleitung ergeben, zu berücksichtigen sind.
Quelle: Bundesregierung, 16.09.2020